1977 war ein spannendes Jahr für den Film. “Star Wars” fegte durch die Kinos und revolutionierte das Science-Fiction-Genre, während “Saturday Night Fever” Tanzhallen und Diskotheken zum Beben brachte. Doch inmitten dieser Popkultur-Explosion gab es einen stillen Meisterwerk, der sich weniger mit Lasergewehren und Discokugeln beschäftigte als mit den düsteren Winkeln des menschlichen Geistes.
Dieser Film war “Providence”, eine psychologische Drama-Meisterleistung von David Lean. Obwohl Lean für seine epischen Werke wie “Lawrence von Arabien” und “Doktor Schiwago” bekannt ist, erwies sich “Providence” als intime, fast theatralische Erfahrung, die tief in die Psyche ihrer komplexen Charaktere eindringt.
Die Geschichte dreht sich um den weltberühmten Schriftsteller Clea Hopkins (gespielt von der legendären Jacqueline Bisset), die nach einem schweren Herzinfarkt an das Bett gefesselt ist. Ihr Haus am Rande des Atlantiks wird zum Schauplatz eines intensiven psychologischen Spiels, als ihre Familie – bestehend aus ihren drei erwachsenen Kindern und ihrem intriganten Ehemann (John Gielgud) – sich um sie versammelt.
Die Ankunft der Kinder löst eine Reihe von emotionalen Konflikten und Geheimnissen aus. Jeder hat seine eigenen Probleme und Sehnsüchte, die im Laufe des Films zutage treten. Der älteste Sohn, David (gespielt von der aufstrebenden Paul Scofield), kämpft mit seiner Karriere als Schriftsteller und seinen ambivalenten Gefühlen gegenüber seiner Mutter. Die Tochter Sarah (Elaine Stritch) ist eine exzentrische Künstlerin, die von ihrer Vergangenheit geplagt wird, während der jüngste Sohn, Thomas (David Burke), ein verwöhnter Playboy, der nach einem Lebenszweck sucht.
Lean nutzt die claustrophobische Atmosphäre des viktorianischen Herrenhauses, um die Spannungen und Geheimnisse zu verstärken. Die Kamera schwebt durch dunkle Korridore, beleuchtet die verstohlenen Blicke und erfasst die leisen Zerrüttungen in den Familienbeziehungen.
“Providence” ist nicht nur ein Psychologiedrama, sondern auch eine Geschichte über Kreativität, Erinnerung und Schuld. Clea Hopkins’ literarisches Schaffen spielt eine zentrale Rolle in der Handlung: Ihre Werke spiegeln oft die Konflikte ihrer Familie wider, während sie gleichzeitig als Ventil für ihre eigenen Dämonen dienen.
Die Film-Musik von Georges Delerue unterstreicht die melancholische Stimmung des Films und verleiht den emotionalen Szenen zusätzliche Tiefe. Die Kameraführung, typisch für Leans Stil, ist makellos und betont die Schönheit der Umgebung, während sie gleichzeitig die Einsamkeit und Isolation der Figuren hervorhebt.
Besetzung und Hintergründe: Eine Zusammenarbeit von Größen
Die Besetzung von “Providence” lesen sich wie ein Who’s Who des britischen Theaters und Films. Neben Jacqueline Bisset, John Gielgud und Paul Scofield glänzen auch renommierte Schauspieler wie Wendy Hiller, Elaine Stritch und David Burke in den Hauptrollen.
Die Produktion des Films wurde von der EMI Films finanziert. Lean hatte die Filmrechte für John Fowlers Roman “Providence” erworben und schrieb zusammen mit dem britischen Drehbuchautor James Cosgrave das Drehbuch. Die Dreharbeiten fanden hauptsächlich auf einer alten Landvilla in Cornwall statt, um die düstere Atmosphäre des Films zu unterstreichen.
Kritiken und Vermächtnis: Ein unterschätztes Meisterwerk
Providence, trotz seiner hervorragenden Besetzung und dem renommierten Regisseur David Lean, blieb bei seiner Veröffentlichung weitgehend unbeachtet. Die komplexen Charaktere und die gediegene, psychologische Atmosphäre sprachen nicht unbedingt ein breites Publikum an. Dennoch wurde der Film von Kritikern gelobt:
- The New York Times: “Providence” ist eine fesselnde Untersuchung der menschlichen Psyche mit brillanten Leistungen von Jacqueline Bisset und John Gielgud."
- Variety: David Lean hat mit “Providence” einen Film geschaffen, der sowohl emotional als auch intellektuell anregend ist.
Heute gilt “Providence” als eines der unterschätztesten Werke des renommierten Regisseurs. Sein psychologischer Tiefgang, die meisterhafte Kameraführung und die hervorragenden Darstellerleistungen machen es zu einem wahren Juwel für Filmliebhaber. Wer nach einem anspruchsvollen und unvergesslichen Filmerlebnis sucht, sollte sich “Providence” unbedingt ansehen.